Brevier TECHNISCHE KERAMIK

 

      Werkstoffe der technischen Keramik

 

 


   

3.4.3.2 Nitride

3.4.3.2.1 Siliciumnitride

Siliciumnitrid (Si3N4) spielt unter den Nitridkeramiken eine derzeit klar dominierende Rolle und verfügt über eine bislang von anderen Keramiken nicht erreichte Kombination von hervorragenden Werkstoffeigenschaften, die

  • hohe Zähigkeit,
  • hohe Festigkeit, auch bei hohen Temperaturen,
  • ausgezeichnete Temperaturwechselbeständigkeit,
  • hervorragende Verschleißbeständigkeit,
  • niedrige Wärmedehnung,
  • mittlere Wärmeleitfähigkeit und
  • gute chemische Beständigkeit umfasst.


Diese Eigenschaftskombination ergibt eine Keramik, die extremsten Einsatzbedingungen gerecht wird. Siliciumnitridkeramik ist somit prädestiniert für Maschinenbauteile mit sehr hohen dynamischen Beanspruchungen und Zuverlässigkeitsanforderungen.
Um dichte Siliciumnitridkeramik herzustellen, wird von einem mit Sinteradditiven (Al2O3, Y2O3, MgO etc.) versetzten Submicron-Si3N4-Pulver ausgegangen, das nach dem Formgebungsprozess bei Temperaturen zwischen 1.750 bis 1.950 °C gesintert wird. Bedingt durch die Zersetzung von Si3N4 zu (Si und N2) ab ca. 1.700 °C bei Normaldruck der Sinteratmosphäre wird während des Sinterns der N2-Druck erhöht, um der Zersetzung entgegenzuwirken.



Bild 39: Gefüge von gasdruckgesintertem Siliciumnitrid

Nitride
Nitride

Eine relativ kostengünstige Variante ist niederdruckgesintertes Siliciumnitrid (SSN), das mittlere Biegefestigkeiten aufweist und aus dem sich großvolumige Bauteile, z. B. für die Metallurgie herstellen lassen.
Das gasdruckgesinterte Siliciumnitrid (GPSSN) wird in einem Gasdrucksinterofen bei einem N2-Überdruck bis zu 100 bar gesintert. Dadurch entsteht ein leistungsfähiger Werkstoff für hohe mechanische Belastungen.

Noch höhere Drücke bis zu 2.000 bar erfahren während des Sinterprozesses das heiß gepresste und das heiß isostatisch gepresste Siliciumnitrid (HPSN bzw. HIPSN). HPSN und HIPSN zeichnen sich durch noch höhere Festigkeiten im Vergleich zu GPSSN aus, da die hohen mechanischen Drücke im Herstellungsprozess die Restporosität nahezu vollständig beseitigen. Nachteilig sind die eingeschränkten Geometrien beim axial gepressten HPSN (mechanischer Pressstempel) sowie sehr hohe Prozesskosten beim HIPSN.

Wichtige Einsatzgebiete für Teile aus diesen dichten Siliciumnitridwerkstoffen sind die Metallbearbeitung mit Schneidwerkstoffen (Wendeschneidplatten), die Wälzlagertechnik mit Kugeln, Rollen und Ringen und der Maschinenbau mit hoch belasteten Maschinenelementen. Der Einzug solcher Teile auch in den Bereich der Umformtechnik demonstriert die Leistungsfähigkeit dieser Werkstoffe.

Das reaktionsgebundene Siliciumnitrid (RBSN) wird nach einem völlig anderen Herstellungsprozess gefertigt. Hier wird alternativ zum hochpreisigen Si3N4-Pulver das vergleichsweise preiswerte Si-Pulver als Rohstoff verwendet, geformt und in N2-Atmosphäre bei Temperaturen von ca. 1.400 °C zu Si3N4 nitridiert, und zwar schwindungsfrei! Die resultierende Keramik weist gute mechanische Kennwerte auf, ist aber durch ihre sehr feine und offene Porosität hochtemperaturoxidationsempfindlich.

Anwendungsbeispiele für RBSN sind Brennhilfsmittel, Schmelztiegel und Schmelzkokillen, z. B. für die Herstellung von Siliciumbauelementen für die Solartechnik.
Werden dem Si-Pulver zusätzlich Sinteradditive zugegeben, kann das nitridierte Si3N4 anschließend dicht gesintert werden (gesintertes RBSN = SRBSN). Beide Werkstoffvarianten eignen sich allerdings prozessbedingt nur für Bauteile mit Wandstärken von maximal 20 mm.


Bild 40: Oberfläche von reaktionsgebundenem Siliciumnitrid

3.4.3.2.2 SIALONe

Varianten der Siliciumnitridkeramiken sind die Siliciumaluminiumoxinitride (SIALON). Hier wird der Rohstoffversatz aus Siliciumnitrid u. a. mit dem Metalloxid Al2O3 angereichert, um bestimmte Mischkristallformen zu synthetisieren, welche bei geringeren Sintertemperaturen ähnlich gute Eigenschaften wie das Siliciumnitrid erreichen. Über die Art und Menge der Zusätze lassen sich die mechanischen Eigenschaften in weiten Bereichen einstellen. Hervorzuheben ist die vergleichsweise höhere Bruchzähigkeit. Deshalb werden SIALONe vielfach für Schneidwerkzeuge eingesetzt. Ihre geringe Benetzbarkeit durch Aluminium- oder Buntmetallschmelzen haben SIALONe zum Standardwerkstoff bei Thermoelementschutzrohren in den Schmelzbetrieben werden lassen.

3.4.3.2.3 Aluminiumnitrid

Aluminiumnitrid (AlN) besticht durch seine hohe Wärmeleitfähigkeit, wobei 180 Wm-1K-1 der Standardwert ist und > 220 Wm-1K-1 erreicht werden. Kombiniert mit der guten elektrischen Isolierfähigkeit eignet sich Aluminiumnitrid hervorragend für elektrotechnische Anwendungen. Hinzu kommt, dass sich Aluminiumnitridkeramik mit allen gängigen Verfahren metallisieren lässt und dadurch für Hart- oder Weichlöten vorbereitet werden kann. Da die Temperaturausdehnung von Aluminiumnitrid mit der von Silicium vergleichbar ist, bleiben bei thermisch belasteten Lötverbindungen mechanische Spannungen zwischen diesen beiden Werkstoffen besonders klein.
Wegen seiner Weiterverarbeitbarkeit mittels Dickschichttechnik und Dünnschichttechnik sowie der möglichen Kupferbeschichtung im DCB-Verfahren (direkt copper bonding) und dem AMB-Verfahren (active metall brazing) für > 1 mm hohe Leiterbahnen ist Aluminiumnitrid z. B. ein idealer Werkstoff für die Telekommunikationstechnik.
Aus Aluminiumnitridkeramik werden Substrate für Halbleiterbauelemente sowie für Leistungselektronikbausteine, Gehäuse oder Kühlkörper gefertigt.
Hohe Resistenz gegen Gase, wie sie bei der Verarbeitung von Silicium-Wafern verwendet werden, sorgt für eine weite Verbreitung von Aluminiumnitridkeramik auch auf diesem Sektor.



Bild 41: Oberfläche von Aluminiumnitrid


Aluminiumnitridkeramik ist dann für eine Anwendung besonders geeignet, wenn

  • sehr hohe Wärmeleitfähigkeit,
  • hohes elektrisches Isolationsvermögen und
  • thermische Ausdehnung ähnlich Si (< Al2O3) notwendig sind oder
  • inertes Verhalten gegen Schmelzen der III-V-Verbindungen gefordert wird.



Bild 42: Bruchfläche von Aluminiumnitrid


Weniger geeignet ist Aluminiumnitridkeramik für Anwendungen bei Temperaturen über 1.000 °C in wasser- oder sauerstoffhaltiger Umgebung oder unter mechanischer Belastung mit gleichzeitiger Benetzung durch Wasser.

Nitride
Nitride

 

 

 
 
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