Diese Eigenschaftskombination ergibt eine Keramik, die extremsten
Einsatzbedingungen gerecht wird. Siliciumnitridkeramik ist
somit prädestiniert für Maschinenbauteile mit
sehr hohen dynamischen Beanspruchungen und Zuverlässigkeitsanforderungen.
Um dichte Siliciumnitridkeramik herzustellen, wird von einem
mit Sinteradditiven (Al2O3, Y2O3, MgO etc.) versetzten Submicron-Si3N4-Pulver
ausgegangen, das nach dem Formgebungsprozess bei Temperaturen
zwischen 1.750 bis 1.950 °C gesintert wird. Bedingt
durch die Zersetzung von Si3N4 zu (Si und N2) ab ca. 1.700
°C bei Normaldruck der Sinteratmosphäre wird während
des Sinterns der N2-Druck erhöht, um der Zersetzung
entgegenzuwirken.
Bild 39: Gefüge von gasdruckgesintertem
Siliciumnitrid
Eine relativ kostengünstige Variante
ist niederdruckgesintertes Siliciumnitrid (SSN),
das mittlere Biegefestigkeiten aufweist und aus dem sich
großvolumige Bauteile, z. B. für die Metallurgie
herstellen lassen.
Das gasdruckgesinterte Siliciumnitrid (GPSSN)
wird in einem Gasdrucksinterofen bei einem N2-Überdruck
bis zu 100 bar gesintert. Dadurch entsteht ein leistungsfähiger
Werkstoff für hohe mechanische Belastungen.
Noch höhere Drücke bis zu 2.000 bar erfahren während
des Sinterprozesses das heiß gepresste
und das heiß isostatisch gepresste Siliciumnitrid
(HPSN bzw. HIPSN). HPSN und HIPSN
zeichnen sich durch noch höhere Festigkeiten im Vergleich
zu GPSSN aus, da die hohen mechanischen Drücke im Herstellungsprozess
die Restporosität nahezu vollständig beseitigen.
Nachteilig sind die eingeschränkten Geometrien beim
axial gepressten HPSN (mechanischer Pressstempel) sowie
sehr hohe Prozesskosten beim HIPSN.
Wichtige Einsatzgebiete für Teile aus diesen dichten
Siliciumnitridwerkstoffen sind die Metallbearbeitung mit
Schneidwerkstoffen (Wendeschneidplatten), die Wälzlagertechnik
mit Kugeln, Rollen und Ringen und der Maschinenbau mit hoch
belasteten Maschinenelementen. Der Einzug solcher Teile
auch in den Bereich der Umformtechnik demonstriert die Leistungsfähigkeit
dieser Werkstoffe.
Das reaktionsgebundene Siliciumnitrid (RBSN)
wird nach einem völlig anderen Herstellungsprozess
gefertigt. Hier wird alternativ zum hochpreisigen Si3N4-Pulver
das vergleichsweise preiswerte Si-Pulver als Rohstoff verwendet,
geformt und in N2-Atmosphäre bei Temperaturen von
ca. 1.400 °C zu Si3N4 nitridiert, und zwar schwindungsfrei!
Die resultierende Keramik weist gute mechanische Kennwerte
auf, ist aber durch ihre sehr feine und offene Porosität
hochtemperaturoxidationsempfindlich.
Anwendungsbeispiele für RBSN sind Brennhilfsmittel,
Schmelztiegel und Schmelzkokillen, z. B. für die Herstellung
von Siliciumbauelementen für die Solartechnik.
Werden dem Si-Pulver zusätzlich Sinteradditive zugegeben,
kann das nitridierte Si3N4 anschließend dicht gesintert
werden (gesintertes RBSN = SRBSN). Beide
Werkstoffvarianten eignen sich allerdings prozessbedingt
nur für Bauteile mit Wandstärken von maximal 20
mm.
Bild 40: Oberfläche von reaktionsgebundenem
Siliciumnitrid
3.4.3.2.2 SIALONe
Varianten der Siliciumnitridkeramiken
sind die Siliciumaluminiumoxinitride (SIALON).
Hier wird der Rohstoffversatz aus Siliciumnitrid u. a. mit
dem Metalloxid Al2O3 angereichert, um bestimmte Mischkristallformen
zu synthetisieren, welche bei geringeren Sintertemperaturen
ähnlich gute Eigenschaften wie das Siliciumnitrid erreichen.
Über die Art und Menge der Zusätze lassen sich
die mechanischen Eigenschaften in weiten Bereichen einstellen.
Hervorzuheben ist die vergleichsweise höhere Bruchzähigkeit.
Deshalb werden SIALONe vielfach für Schneidwerkzeuge
eingesetzt. Ihre geringe Benetzbarkeit durch Aluminium-
oder Buntmetallschmelzen haben SIALONe zum Standardwerkstoff
bei Thermoelementschutzrohren in den Schmelzbetrieben werden
lassen.
3.4.3.2.3 Aluminiumnitrid
Aluminiumnitrid (AlN)
besticht durch seine hohe Wärmeleitfähigkeit,
wobei 180 Wm-1K-1 der Standardwert ist und > 220 Wm-1K-1
erreicht werden. Kombiniert mit der guten elektrischen Isolierfähigkeit
eignet sich Aluminiumnitrid hervorragend für elektrotechnische
Anwendungen. Hinzu kommt, dass sich Aluminiumnitridkeramik
mit allen gängigen Verfahren metallisieren lässt
und dadurch für Hart- oder Weichlöten vorbereitet
werden kann. Da die Temperaturausdehnung von Aluminiumnitrid
mit der von Silicium vergleichbar ist, bleiben bei thermisch
belasteten Lötverbindungen mechanische Spannungen zwischen
diesen beiden Werkstoffen besonders klein.
Wegen seiner Weiterverarbeitbarkeit mittels Dickschichttechnik
und Dünnschichttechnik sowie der möglichen Kupferbeschichtung
im DCB-Verfahren (direkt copper bonding) und dem AMB-Verfahren
(active metall brazing) für > 1 mm hohe Leiterbahnen
ist Aluminiumnitrid z. B. ein idealer Werkstoff für
die Telekommunikationstechnik.
Aus Aluminiumnitridkeramik werden Substrate für Halbleiterbauelemente
sowie für Leistungselektronikbausteine, Gehäuse
oder Kühlkörper gefertigt.
Hohe Resistenz gegen Gase, wie sie bei der Verarbeitung
von Silicium-Wafern verwendet werden, sorgt für eine
weite Verbreitung von Aluminiumnitridkeramik auch auf diesem
Sektor.
Bild 41: Oberfläche von Aluminiumnitrid
Aluminiumnitridkeramik ist dann für eine Anwendung
besonders geeignet, wenn