Die Nutzung keramischer Werkstoffe hat bereits
in der Frühgeschichte der Menschheit begonnen.
Nach gesicherten archäologischen Untersuchungen
wurden vor mehr als 24.000 Jahren erste figürliche
Keramiken aus bildsamen keramischen Massen geformt und
durch den Brand verfestigt. Mehr als 10.000 Jahre später
mit dem Sesshaftwerden der Menschen entstanden in Mesopotamien
und Indien die ersten Ziegelsteine. Vor 7.000 bis 8.000
Jahren wurden dann in Mitteleuropa die ersten Nutzgefäße
produziert.
Zum Bau von Schmelz- und Prozessöfen
in der Hüttentechnik wurden bis zum Ende des Mittelalters
natürliche Sandsteine mit kaolinitischer oder kieseliger
Bindung verwendet. Die Entwicklung synthetischer, feuerfester
Werkstoffe (Agricola, Freiberg um 1550) war eine Grundlage
für die Industrielle Revolution und schuf die Voraussetzungen
für das großtechnische Erschmelzen von Metallen
und Glas, für die Herstellung von Koks, Zement
und Keramik.
Die keramische Industrie war ein wichtiger
Begleiter der Chemie. Säurefestes Steinzeug und
Porzellan waren lange Zeit die wichtigsten Korrosionsschutzwerkstoffe.
Heute sind sie weitgehend durch säurefeste Stähle
und Emails, aber auch durch Oxid-, Nitrid- und Carbidkeramiken
ersetzt.
Beginnend mit der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts wurde die Elektrokeramik zur Haupttriebkraft
der industriellen Entwicklung. In dieser Zeit wurden
die grundlegenden Lösungen für die elektrische
Isolation auf der Basis von Porzellan geschaffen.
Es ist schwierig, einen Zeitpunkt
für den Beginn der neuen Hochleistungskeramikwerkstoffe
festzulegen. Bis zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert
hatte die Entwicklung der keramischen Werkstoffe vorwiegend
empirischen Charakter, wissenschaftliche Methoden fanden
erst im Laufe des 20. Jahrhunderts Eingang.
Mit Quarzporzellan wurden durch Verbesserung
der Fertigungstechnologie erstmalig Biegefestigkeiten
von mehr als 100 MPa erreicht. Erst in den 60er Jahren
des 20. Jahrhunderts gelang durch die systematische
Entwicklung des Tonerdeporzellans eine deutliche Steigerung
der Festigkeit, die insbesondere bei Großisolatoren
für Spannungen über 220 kV zu einer beträchtlichen
Gewichtsreduzierung führte.
Bild 1: Isolatorherstellung
um 1920
Mit der Verbreitung des Rundfunks in den 20er Jahren
des 20. Jahrhunderts wurden spezielle keramische Isolationswerkstoffe
erforderlich, die sich beim Einwirken hochfrequenter
Felder nicht erwärmten. Diese Entwicklungen führten
zu den heute noch verwendeten Werkstoffen Steatit und
Forsterit. Die Erforschung der oxidischen Magnetwerkstoffe
begann in den 40er Jahren (Hartferrite, Weichferrite).
Zu diesem Zeitpunkt entstanden auch die Kondensatorwerkstoffe
auf der Basis von Titanoxid und begannen Untersuchungen
über die ferroelektrischen und piezoelektrischen
Eigenschaften der Perowskite (Ba-TiO3 etc.). Dadurch
wurde eine breite Palette von Werkstoffen – auch
mit halbleitenden Eigenschaften – für Sensoren,
frequenzselektive Bauelemente (Filter) und Kondensatoren
hoher Flächenkapazität geschaffen. Theoretische
Ansätze hierzu leiten sich aus grundlegenden Arbeiten
von Heisenberg, Dirac, Heitler, Londas, Hartre, Fock
u. a. ab.
Ein weiterer, wichtiger Meilenstein
war die Einführung des Zündkerzenisolators
aus Sinterkorund (Siemens, 1929). Mit der Entwicklung
der Mikroelektronik stieg der Bedarf an Aluminiumoxidwerkstoffen,
Beispiele hierfür sind Materialien für Substrate
und Gehäuse. Eine wichtige Eigenschaft –
neben hohem Isolationswiderstand, geringen dielektrischen
Verlusten, hoher Wärmeleitfähigkeit, hoher
mechanischer Festigkeit und Thermoschockbelastbarkeit
– ist die Vakuumdichtigkeit dieser neuen Werkstoffgruppe.
Während sich die thermischen
Eigenschaften nach der Theorie von Debye ausreichend
interpretieren ließen, war es zur Erklärung
der mechanischen Eigenschaften erforderlich, die Bruchmechanik
zu entwickeln. Kamen als keramische Konstruktionswerkstoffe
zunächst Aluminiumoxid und später auch Zirkoniumoxid
zum Einsatz, so, wurden Ende der 60er Jahre des 20.
Jahrhunderts die hervorragenden Eigenschaften der kovalentgebundenen
Werkstoffe auf Siliciumbasis (Siliciumcarbid, Siliciumnitrid,
SIALONe u. a.) erkannt und genutzt. Die Forschung zu
allen Werkstoffen ist bis heute aktuell geblieben.
Neben den Konzepten der Bruchmechanik wurden neue mathematische
Methoden und die Computersimulation entwickelt, um die
Beziehungen zwischen Gefüge und Eigenschaften durch
Modelle zu erfassen. Parallel zur theoretischen Entwicklung
erfolgte die Optimierung der Verfahrenstechnik bis zur
Schaffung völlig neuer Prozessabläufe und
Sinterverfahren.
Kontinuierlich werden weiterhin bekannte
Werkstoffe verbessert, neue Werkstoffe entwickelt und
neue Anwendungen erschlossen. Die Werkstoffe von heute
sind nicht mehr mit den Materialien zu vergleichen,
die vor zehn oder zwanzig Jahren auf dem Markt waren.
Wissenschaftliche Forschung fördert das werkstoffkundliche
Verständnis. Verbesserte und neue Fertigungstechnologien
sorgen für Fortschritte bei Qualität, Reproduzierbarkeit
und Betriebssicherheit.
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